conquering places y mucho mas

Ludwig Feur im Gespräch mit Martin Holz

Gerade schwer zu kriegen, ja unauffindbar, suche ich Martin Holz. Er versteckt sich ja meistens gut. Früher auf toten Adressen, hinter Briefkästen verschanzt, lernte ich ihn kennen auf einem Trampelpfad. Er las Texte vor einem Publikum, das nicht da war, und ich war berührt. Heute nehme ich seine Witterung von Neuem auf. Genug Brotkrumen hinterlässt er ja meistens und sie führen diesmal nach Madrid. Ich fliege hin und folge den Hinweisen. Er lebe am Strand, an einer Steilküste, und ich dürfe dort nicht aufkreuzen. Außerdem sei ein Fotoapparat nicht erlaubt. Die alten Spiele: vertraut und verliebt in seine seltsamen Regeln. Ich finde dich, schreibt er, und so ist es. In Madrid sehen wir uns. Er reicht mir seine Kopfhörer und zeigt mir Musik, die ihn begleitet: ‚The Storm‘ von ‚The Hunters‘. Danach sprechen wir über das Projekt, seine ‚Conquista‘ und ob sie ‚Game Over‘ oder nur der Anfang ist. Zur Musik in den Kopfhörer geht es hier.

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‚invasor&einnahme‘ (Mainview, mit Martin Holz, ‚Polly Faber‘)

 

LF Das Projekt ‚conquering places‘ ist vorüber oder zumindest abgeschlossen. Ausstellungen, Events und andere Aktionen liegen hinter dir und annäherend 40 Teilnehmern. Wie geht es weiter und wie siehst du auf das Projekt im Rückblick?

MH Ja, das Projekt ist vorbei. Anscheinend zumindest. ‚Game Over‘ ist es nicht, das wäre nicht richtig. Es geht weiter: Von Anfang an war es ja kein nur lokales Event, sondern eine Art Drehbuch, das die unterschiedlichsten Wege einschlagen konnte. Sicher lag in der Umsetzung vor Ort der Schwerpunkt. Aber nur ein erster. Gerade ist eine neue Ausschreibung erschienen, die weitere Interessenten aus unterschiedlichen Bereichen einlädt, dass Projekt im Review mit neuen Koordinaten auszustatten. Es können Positionen hinzukommen, die Projekte anderenorts realisiert haben, aber diese Arbeiten nicht involvieren konnten. Zu weit weg. Wie das alles zusammenfügen?, dachte ich. Die Lösung ist einfach: sie sollen am Katalog mitwirken, der keinesfalls eine bloße Projektdokumentation darstellt, sondern Ideen und Blickwinkel versammelt. Das ist das eine. Nachdem das Projekt ausschnittweise in Leipzig mit dem ‚flanzendörferexperiment‘ zu sehen und durch einen Vortrag vorgestellt worden war, habe ich das Land verlassen.

'conquista (der riese)' (Martin Holz bei 'flanzendörferexperiment', 'Kunst am Markt 2014', Leipzig)

‚conquista (der riese)‘ (Martin Holz bei ‚flanzendörferexperiment‘, ‚Kunst am Markt 2014‘, Leipzig)

'schutzpilot / GARUNA ICH WAR' (Martin Holz bei 'flanzendörferexperiment', 'Kunst am Markt 2014', Leipzig)

’schutzpilot / GARUNA ICH WAR‘ (Martin Holz bei ‚flanzendörferexperiment‘, ‚Kunst am Markt 2014‘, Leipzig)

Als Alexander der Große, erzählt man, das Meer erreichte, weinte er wohl, weil er sah, dass es nichts mehr zu erobern gab. Ich wollte herausbekommen, ob ich weinen werde. Außerdem war einer der ungeschriebenen Links, die das Projekt inhaltlich angeschoben haben, die Sache mit der ‚Conquista‘. Das wurde nicht direkt thematisiert, aber z. B. durch Arbeiten von Claudia Pomowski berührt. Mich hat das nachher als Schleichpfad interessiert. Aber das ist nur einer der Gründe, warum ich hier bin und er ist nebensächlich. Ich wollte sehen, ob es weiter geht, und es wird weiter gehen. ‚Conquering places‘ y mucho más. Und vieles mehr.

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‚conquering mind‘ (Claudia Pomowski, bei ‚THESEN&ERSATZTEILE‘, ‚Literaturzentrum Vorpommern‘)

LF Also werden bereits neue Pläne ausgeklügelt? Entsteht ein neues Projekt im Norden Deutschlands?

MH Nein, der Norden ist nach reiflichen Überlegungen passé. Das hat viele Gründe und korrespondiert auch inhaltlich mit dem Projekt. Als ich den dritten Headliner ‚THESEN&ERSATZTEILE‘ am ‚Literaturzentrum Vorpommern‚ begann aufzubauen, bin ich auf alte, ja verschüttete Wege gestoßen. Die ungeschriebene Geschichte Greifswalds. Der erste Anhaltspunkt war das Interview (1) mit ‚Radio 98eins‘, das Michael Gratz, der Herausgeber der Lyrikzeitung, mit mir geführt hat. Hier ist es. Ich habe Anne Amelang, übrigens eine gebürtige Greifswalderin, eingeladen, an dem Gespräch teilzunehmen. Hat sie gemacht. Die Besetzerszene aus den 90er Jahren tauchte im Dialog plötzlich auf. Sie erzählte davon und spielte mir damit den ersten Fingerzeig zu. Den habe ich aber erst verstanden, als ich Alexander Pehlemann, den Herausgeber der ‚Zonic‚, einen der wichtigsten Akteure aus dieser Zeit kennenlernte. Er hielt im ‚Falladahaus‘ einen Vortrag unter dem Titel ‚The Return of FallaDADA oder die letzte Lockerung am Ryck‘. Das heute sehr biedere Kostüm Greifswalds, die kulturellen Strukturen – all das hat Wurzeln, von denen ich nicht wusste. Mit der Besetzerszene wurden damals Löcher oder Möglichkeitsräume eingenommen und genutzt. Der eine Machtapparat versagte oder war nicht mehr anwesend und hinterließ ein Vakuum. Der Hund war begraben und die Szene hat ihn ausgebuddelt oder das Beste daraus gemacht. Neben dem ‚Falladahaus‘ ist auch das ‚Literaturzentrum Vorpommern‘ aus diesen Initiativen entstanden, die ich als Anschlag, nein, als Eroberung wahrgenommen habe. Mit Pehlemann im Gespräch, sagte er, dass ‚conquering places‘ das sei, was sie, die Akteure der damaligen Szene, gemacht haben. Und Anne Amelang erzählte davon, wie sie diese Zeit erlebt hatte. Ich recherchierte oder bekam Informationen zugesteckt, und mit dem Aufbau der Ausstellung im ‚Literaturzentrum Vorpommern‘ war für mich vordergründig, diesen Quellcode zu thematisieren. Ich habe in Pehlemann den Eroberer gesehen, den Hacker und den Banditen. Es entstand eine Art Raumportrait, das ‚DIE NEUE LOCKERUNG‘ er- oder verbittert ausrief. Aber diese Proklamation ist gescheitert.

'kommando zonic' (Martin Holz, aus 'DIE NEUE LOCKERUNG', 'Literaturzentrum Vorpommern', für Alexander Pehlemann)

‚kommando zonic‘ (Martin Holz, aus ‚DIE NEUE LOCKERUNG‘, ‚Literaturzentrum Vorpommern‘, für Alexander Pehlemann)

LF Gescheitert? ‚Conquering places‘ ist gescheitert… du machst Scherze!

MH So meine ich das nicht. Indem ich mit dieser Proklamation an etwas erinnerte, woran nur noch wenige denken, bin ich gescheitert. Ich kann keine Erinnerung wecken, die nicht mehr da ist. Die Stadt hat sich verändert. Waren die Menschen damals hungrig nach Möglichkeiten, erscheinen sie mir heute eher satt. Das hat mich gestört, das hat mich oder die ‚Lockerung‘ stranden lassen, bauchlings. Ich wollte wecken und Feuer anzünden, nicht nur eine Ausstellung machen und die Zuschauer machen das, was sie immer tun: nämlich zuschauen. Aber ich habe die Entzündung nicht gesehen. Trotzdem war dieses Projekt richtig oder hat für Klarheit gesorgt: zum Beispiel gipfelte diese Ausstellung in einer Bodencollage: In den Umrissen der Hansestadt Greifswald habe ich ein schwarzes Loch gebaut oder trickreich in den Raum gezaubert. HGW, das Kennzeichen der Stadt aber war durchgestrichen und durch ‚Kommando Zonic‘ ersetzt. Mit dem Loch hat es Folgendes auf sich: bevor das ‚Falladahaus‘ durch die Eroberer von damals gerettet wurde, war der heutige Veranstaltungssaal, sein Boden, aufgerissen. Ein Loch reichte bis in den Keller. Und in diesem Loch, dachte ich, da wohnten die Möglichkeiten. Die ‚Zonics‘ mit ‚merzsehgerät‘ haben das erkannt und alles gegeben. Nicht die Stadträte und die etablierten Strukturen waren es, die diese Stadt verändert haben. Es waren Leute wie Pehlemann. Aber diese Zeiten sind vorbei, schon sehr lange, und es gibt keinen Grund mehr, dort weiterzuarbeiten. Also versuche ich, den Norden zu vergessen oder meine Konsequenzen zu ziehen.

LF Konsequenzen? Du meinst deine Pläne, hoffe ich…

MH Ich sehe schon, du lässt heute nicht locker. Wie immer. Aber alles der ausgeheckten Reihe nach. Zuerst möchte ich dazu sagen, dass diese Pläne nicht nur meine eigenen sind. Mit ‚conquering places‘ haben sich wunderbare Kooperationen ergeben, die fortgeführt werden sollen. Während das Projekt eher durch eine Ein-Mann-Mannschaft realisiert wurde, soll in Zukunft ein multiprofessionelles Team diese Aufgabe übernehmen, und ich suche nach tatkräftigen Akteuren mit Initiative. Das Schöne ist: ich habe sie sofort gefunden. Mark Oliver Rühle (Berlin) und Franziska Stolzenau (Dresden) sind beeindruckende Initiatoren und unsere Projekte oder Netzwerke sind für eine Symbiose wie geschaffen. Daran arbeiten wir derzeit, es entstehen Skripte und wir loten den Kurs aus. Aber es wurde ja bereits bekannt gegeben, dass aus ‚conquering places‘ Folgeprojekte entstehen werden. Allerdings nicht wie in der bisherigen Form. Eher haben sich unterschiedliche Pfade ergeben, aus denen feste Plattformen, Nets und andere Spaces entstehen. Wir planen den Aufbau einer festen interdisziplinären Plattform, die neben unterschiedlichen Akteuren auch Orte oder Projekte kartographiert. Ein Atlas, der internationalen Fokus besitzt und die Grundlage für weitere Vorhaben & Eroberungen bietet. Unser Augenmerk liegt dabei auf dem Potential des Undergrounds. Neben Residence-Projekten ist eine Zeitschrift in Planung, verschiedene Online-Nets und eben auch neue, größere Ziele. Zuerst wird es aber den Katalog von ‚conquering places‘ geben.

LF Ihr lotet den Kurs aus… verrätst du mir, wohin es gehen soll? Nach Spanien? Bist du deswegen hier?

MH Nein, das werde ich nicht beantworten…

LF Wenigstens eine Himmelsrichtung…

MH Vielleicht in den Osten…

LF In den Osten? Wohin genau?

MH Mehr sage ich nicht. Alles zu seiner Zeit und es ist jetzt Zeit an den Strand zurückzugehen oder in die Berge. Ich genieße es gerade, Eroberer zu sein, der sich als Landstreicher tarnt.

LF Eine letzte Frage, bevor du gehst. Hast du geweint, wie Alexander es tat?

MH Ja, aber nicht aus demselben Grund. Ich habe geweint, weil ich die alte Welt verlasse und in eine neue aufbreche… Aus diesem Grund möchte ich mir ein Lied wünschen, geht das?

LF Ja, aber welches?

MH ‚The Way I Walk‘, gecovert von The Cramps.

LF Mach ich, aber jetzt frage ich lieber nicht weiter. Martin, komm gut an die Küste.

Dann verschwindet er in den piazzas, nein in den calles. Erst im Nachhinein fällt mir auf oder ein, dass es in Madrid keinen Strand gibt. Keine Ahnung, was das bedeutet oder wohin das führt. Vielleicht ist es Zauber oder die Musik, die er mir gezeigt hat. Keine Ahnung, zu seinem Wunschlied geht es hier.

'invasor' (Martin Holz, bei 'invasor&einnahme', Polly Faber)

‚invasor‘ (Martin Holz, bei ‚invasor&einnahme‘, Polly Faber)

Anmerkungen
Titelbild: ‚forschen können niemals die feiglinge‘ (Lesung mit Martin Holz vom 12.05.2014, Polly Faber, Opening ‚invasor&einnahme‘)

1 Das Interview auf ‚Radio 98‘ findet ihr hier.

Ein Gedanke zu „conquering places y mucho mas

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