vorgestellt: france parsus

Von Ludwig Feur

Noch einen mickrigen Schritt, einen unüberlegten Pinselstrich weiter: und sie verschwinden die Figuren von France Parsus. Es ist, als tauchten sie unter – nicht aber wie ein Geheimagent, nein, sondern wie alles, was geschieht und dabei verschwimmt. Nichts ist fest: nicht das, woran wir uns halten oder orientieren, nicht das, woran wir Halt suchen und auch nicht das: was uns umgibt. Was auch immer es ist: es sind Schemen, die gehen und die in ihr Nichts (1) vorlaufen. Alle Dinge tun das: kommen aus der Leere und kehren wieder zurück dahin. Ein wenig hält die Erinnerung von ihnen bereit: von den Geliebten und den Verwandten, den Freunden und den Feinden. Sie entfernen sich, sie verlassen uns, so ist das: unser Leben und die Plätze darin, sie leeren sich und nein, sie füllen sich nicht von neuem – wie im Kino oder in der Straßenbahn. Unser Alltag ist voll davon, voll von Schmutzrändern des Hinterlassenen, voll von Dingen, die zwischen den Händen zerrinnen. Und wir selbst, es ist das gleiche: eine Spur im Sand, von der nächsten Welle ausgelöscht.

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Kein Titel; aus: ‚quand la pluie‘

Im Berliner Atelier von Parsus, einem dunklen Erdgeschoss werden sie festgehalten, diese Spuren, so, als gälte es eine Sandburg gegen die Flut zu verteidigen, so, als hielte sie, Parsus sich daran fest: an den Schemen, wie sie einem in der Stadt der Einsamkeit und anderswo begegnen, in der S-Bahn zum Beispiel, die den menschelnden Ameisenhaufen durch die Straßen pulsiert. Aber das allein genügt nicht, um ihren Arbeiten die richtige Geheimzahl einzugeben und ja: ich kenne sie nicht, probiere also herum und sage: Pinselstrich öffne dich. Aber er tut es nicht: die Malereien verschlüsseln sich geradezu gegenseitig, sind Komplizen und Handlanger: das heißt, sie schweigen, sie halten dicht. Ebenso dicht kommen sie mir vor, wenn ich vor ihnen stehe: Fantome, aneinandergehäuft, nebeneinander aufgestellt, eine Mannschaft voller Unbekannter – so starren sie mich an oder wenden sich ab. So wie sie das tun, das eine oder das andere, wird klar: ihre Richtungen unterscheiden sich kaum – Auftauchen und Verschwinden wird dasselbe. Ebbe, Flut – wie die Wellen also, die den Boden übermalen und die Abdrücke darin. Ich sage mir das, was Benn sich einmal gesagt hat, nämlich, das sie das immer tun. Dann trinke ich meinen Kaffee aus.

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Kein Titel

Der leere Becher beschreibt, woran ich gedacht habe – einen Mangel an Sein (2), eine Kontingenzerfahrung (3): der Mensch befragt die Natur, muss aber feststellen, das sie sich nicht rührt, das sie einfach nicht antwortet – sie wächst weiter und über uns hinweg. Parsus Fantome antworten ebenso wenig, sie sind zu weit entfernt und es nützt wenig in ihrem Atelier nach ihnen zu rufen: aber ich will es versuchen. Und so wie ich das tue fotografiere ich einen ersten Hinweis: ich bin einer von ihnen, ein Unbekannter unter Unbekannten und ja – ich sehe meine Welle kommen. Etwas antwortet also – sagt aber nichts. Vielleicht ist das die Geheimzahl und man kann darüber diesen Arbeiten begegnen: indem man sich ihnen, aber auch sich selbst stellt, seiner Einsamkeit und das auch die eigene Geschichte zerfliesst. Sie dehnt sich, ja, sie häuft sich scheinbar, ist aber eine Höhle ohne Anhaltspunkte.

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Kein Titel

Die Frage dabei ist: ob diese Arbeiten zu dieser Erfahrung geradezu einladen ohne einen Schritt in diese Richtung gedacht zu haben. Sind sie eher Abbildungen der Erfahrungen einer Großstadt voller Gewimmel oder führen sie tatsächlich in eine Ebene, wo sich ein Geheimnis auftut: Ali Baba – das Schweigen, der Mangel, die Spuren im Sand. Was eröffnet sich wirklich? Wird man vielleicht dazu verführt solcherlei Vermutungen anzustellen? Und landet man dabei doch nur bei schweigsamer Bildästhetik? Sind es Arbeiten, die mehr zulassen, als sie enthalten? Als ich Parsus danach frage, was sich wirklich hinter ihren Schemen verbirgt, welcher Moment oder welches Gespenst sein Wesen bei ihr treibt, als ich sie frage: schaut sie weg. Nicht, weil sie keine Antwort wüsste, dessen bin ich mir sicher: nein, dadurch antwortet sie mir und sagt freundlich: möchtest Du noch einen Kaffee?

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Kein Titel; aus: ‚quand la pluie‘

Anmerkungen
Beitragsbild: France Parsus; aus der Serie ‚quand la pluie‘
1 nach Heidegger, Martin ‚Sein und Zeit‘
2 nach Sartre, Jean-Paul ‚Der Ekel
3 Der Begriff Kontingenz ist schwer zu fassen. Es gibt mehrere Ansätze. Ich folge dem Begriff aus einer existenzphilosophischen Perspektive: Zufälligkeit, Austauschbarkeit, Mangel an Sein. ‚Das alles das, was ist, auch nicht sein kann‘.

Über France Parsus
1980 geboren in Frankreich (Thiais)
Studium der Bildenden Kunst an der Ecole supérieure des Beaux-Arts in Quimper (Frankreich)
2006 lebt und arbeitet seit Oktober in Berlin Neukölln.
Internationale Ausstellungen, Workshops und Projektarbeiten

Projekte / Ausstellungen
2013, September, Kulturamt Steglitz-Zehlendorf -Kunstausstellung Charité, Berlin
2012, Juin, Peinture pour rien, Duo mit Léa Gilloire, Berlin – Neukölln
2012, Mai, Group Show, G11Funkhaus Berlin
2011, Septembre, Ausgezeichnet und beindruckend , Stadthalle Detmold
2011, Juin, Noir clair, dans tout l´univers, Berlin – Neukölln
2010, November-Dezember, Lichtblick, Kunstverein Kulmbach
2010, Juni, Déjà Vu, Offenes Atelier, 48 Stunden Neukölln- Berlin
2010, Mai, Passages, Kunstraum AT.18, Berlin (Einzel-)
2010, Avril, Form´art, Kunstverein Glinde e.V.
2009, September, Messe für junge Kunst Art Tower Berlin
2009, Juni, Kunst und Kulturfestival 48 Stunden Neukölln, Berlin
2008, Septembre, Portes ouvertes des ateliers de Ménilmontant, Paris
2008, Août, Fragments – Galerie Acud, Berlin (duo-)
2008, Mars, Blicke auf die Welt– Galerie Take, Berlin (duo-)
2007, September, Magistrale – Kulturnacht in der Potsdamerstrasse, Berlin
2007, Avril-Mai, Bipède, Galerie der KungerKiez, Berlin (Einzel-)
2007, Mars-Avril, die Liebenden, Galerie Malerei und Graphik, Berlin
2006, Papiers, Mairie de Plourin lès Morlaix
2006, August, gare de Coatelan, Plougonven (Einzel-)
2000, Salon de la Petite Editon, Quimper

Links
www.franceparsus.com

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